Im Erzgebirge wird der Bahnverkehr der Zukunft Realität
Know-how von über 150 Partnern bündelt der europaweit einzigartige „Smart Rail Connectivity Campus (SRCC)“ für die Erprobung von hochautomatisiertem Fahren auf Normalspur. 2019 fuhr im Erzgebirge zum weltweit ersten Mal ein Zug fahrerlos.
Wenn die europäische Bahnindustrie neueste Entwicklungen zum Schienenverkehr der Zukunft erforschen und testen will, dann kommt sie immer häufiger ins sächsische Erzgebirge nach Annaberg-Buchholz. Hier wächst mit dem Smart Rail Connectivity Campus, kurz SRCC, betrieben von der DB RegioNetz Erzgebirgsbahn, eines der größten digitalen Testfelder für intelligenten Schienenverkehr in Europa heran. Der Campus ist zudem einer von bundesweit vier Standorten des „Deutschen Zentrums Mobilität der Zukunft“.
Mehr erfahren150 Partner treiben die Digitalisierung auf der Schiene voran
2018 manifestierte sich die Idee von Partnern aus Sachsens Industrie und Wissenschaft, die bisherige Zusammenarbeit in einzelnen Forschungsprojekten dauerhafter und im größeren Maßstab zu betreiben. Stadt und Region Annaberg-Buchholz rückten dabei schnell in den Fokus. Hier gibt es mit dem ersten digitalen Stellwerk Europas am Bahnhof Annaberg-Buchholz Süd – ebenfalls betrieben durch die DB RegioNetz Erzgebirgsbahn – sowie der vorwiegend touristisch genutzten Nebenstrecke Annaberg-Buchholz – Schwarzenberg beste Voraussetzungen, die Zukunft des digitalisierten automatisierten Bahnverkehrs zu entwickeln und zu erproben. Die 25 Kilometer lange Trasse bildet mit ihrer kurvenreichen und bergigen Topografie alle möglichen Bahnstreckenprofile ab und eignet sich daher ideal als Teststrecke. Zudem treibt die Stadt Annaberg-Buchholz das Vorhaben von Anbeginn aktiv mit voran – gemeinsam mit den weiteren Initiatoren Technische Universität Chemnitz und der zur DB RegioNetz gehörenden Erzgebirgsbahn.
Mittlerweile sind im SRCC rund 150 Partner vereint, darunter führende Unternehmen aus der europäischen Bahnbranche sowie weitere internationale, nationale und regionale Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Kommunen und Organisationen. Sie alle eint das Ziel, eine agile Innovations- und Netzwerkplattform für Forschung, Entwicklung, Prototyping und Zulassung des Schienenverkehrs der Zukunft aufzubauen. Zugleich verknüpft das Vorhaben Partner verschiedener Größe, Ausrichtung und Kompetenzen zu einem regionalen Innovationsnetzwerk neuer Qualität, das zunächst im Innovationsfeld Smart Rail und perspektivisch in weiteren Feldern einen entscheidenden Beitrag zu einem erfolgreichen Strukturwandel im Erzgebirge leisten will.
Der Campus zieht an
Seinen Sitz hat der SRCC am Unteren Bahnhof Annaberg-Buchholz. Das nicht mehr genutzte Bahnhofsgebäude wird grundlegend saniert und verwandelt sich Schritt für Schritt in einen modernen Forschungs-Campus. Die TU Chemnitz hat hier bereits eine Außenstelle eingerichtet. Auch der österreichische Bahnsensortechnik-Spezialist Frauscher ist schon eingezogen und betreibt vom Erzgebirge aus ein Entwicklungszentrum. In einem zweiten Bauabschnitt entsteht ein Schulungs- und Trainingszentrum der Deutschen Bahn, die im Rahmen ihrer Initiative „Digitale Schiene Deutschland“ umfangreiche Feldversuche im Erzgebirge durchführt. Ein dritter Bauabschnitt sieht die Errichtung eines Innovations- und Gründerzentrums sowie einer Forschungshalle mit modernem Equipment, u. a. für die Vorbereitung von Streckentests, vor.
Weltpremiere für den Zug ohne Lokführer
Eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung und Erprobung des intelligenten Schienenverkehrs der Zukunft wird gerade errichtet. Mit dem Aufbau einer 5G-Infrastruktur entlang der Teststrecke sowie eines eigenständigen 5G-Campusnetzes verfügt der SRCC über eines der umfassendsten digitalen Testfelder Europas, um die Bausteine für einen sicheren automatisierten und vernetzten Zugverkehr zu erproben.
Bereits vor der vollständigen Fertigstellung der 5G-Infrastruktur sorgten die SRCC-Akteure für eine Weltpremiere: Im September 2019 fuhr erstmals ein Forschungszug ohne Lokführer auf der Teststrecke, ferngesteuert unter 5G, von einem Leitstand an der Trasse. Im November 2022 wurde ein weiterer Meilenstein gesetzt. Dieses Mal erfolgte die erfolgreiche Steuerung des Zuges aus dem 340 Kilometer entfernten Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) – einem wichtigen Partner des SRCC. Mittels 5G- und zukünftig auch 6G-Technik wird es viele weitere Versuchsfahrten, Tests und Entwicklungen geben, um den automatisierten Bahnverkehr mittels hochleistungsfähiger und störungsfreier Echtzeitkommunikation zwischen Zügen und Infrastruktur sicher zu gestalten.
Erste 50-Hertz-Nachladestation für Batteriezüge
Der Schienenverkehr der Zukunft soll nicht nur zuverlässig digitalisiert, sondern ebenso emissionsfrei unterwegs sein. Auch dafür stellt der SRCC die Weichen. So entstand am Bahnhof Annaberg-Buchholz Süd die erste 50-Hertz-Nachladestation mit Symmetrieumrichter für batterieelektrische Züge in Europa. Nach einer einjährigen Testphase werden ab 2024 zwischen Leipzig und Chemnitz sowie teils bis nach Annaberg-Buchholz Akkumulatoren-Züge verkehren, welche am Bahnhof Annaberg-Buchholz Süd nachgeladen werden können.
Zahlreiche weitere Projekte laufen inner- und außerhalb des vom Bundesforschungsministerium geförderten Programms „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“. Sie sind auf den Technologiefeldern angesiedelt, welche die SRCC-Akteure als wesentlich für einen nachhaltigen Schienenverkehr sowie eine ebensolche intermodale Mobilität identifiziert haben. Dazu gehören Datenanalyse und KI, Sensorik, Kommunikationstechnik, Leit- und Sicherungstechnik, Antriebs- und Energietechnik sowie Mensch-Technik-Interaktion. Ein Projekt befasst sich mit der Entwicklung eines Energiemanagementsystems für Wasserstoffzüge, das im Zusammenspiel mit Fahrerassistenzsystemen ein optimales Zusammenwirken verschiedener Antriebskomponenten ermöglicht.
Junge Botschafter begeistern für den SRCC
Neben den verschiedenen technisch geprägten Themen ist die Aus- und Weiterbildung ein wichtiges Handlungsfeld im SRCC. Die Akteure setzen mit verschiedenen Qualifizierungsangeboten nicht erst bei Auszubildenen, Berufserfahrenen oder Quereinsteigern an. Sie haben Kinderbotschafter gewonnen, die u. a. in kurzweiligen Videos erklären, was auf dem Smart Rail Connectivity Campus passiert. Die 7- bis 14-jährigen Mädchen und Jungen haben viel Spaß dabei, entdecken manchen Berufswunsch für sich und stecken andere – Gleichaltrige wie Erwachsene – mit ihrer Begeisterung an.