Sächsische Robotik als Blaupause für Europas Mikroelektronik
Automatisierungslösungen aus Sachsen tragen wesentlich dazu bei, die deutsche Chipindustrie zukunftssicher zu machen. So meisterte zum Beispiel Infineon Technologies in seiner Dresdener 200-mm-Fertigung mit Hilfe sächsischer Partner erfolgreich die Nachautomatisierung.
Halbleiterwerke aus den 1990er Jahren, die bis heute Chips auf den vergleichsweise kleinen 200-Millimeter-Siliziumscheiben (Wafer) fertigen, sind trotz ihrer langen Laufzeit bis heute international konkurrenzfähig geblieben, weil die Betreiber dort gemeinsam mit Spezialisten aus Dresden nachträglich Automatisierungslücken geschlossen haben. Ein Paradebeispiel dafür ist die Zusammenarbeit von Infineon Technologies Dresden mit Fabmatics, Wandelbots und anderen Robotikspezialisten. „Wir haben da gemeinsam Neuland betreten“, schätzt Ingenieur Harald Heinrich von Infineon Dresden ein, der das Projekt über Jahre koordiniert hat. „Heute können wir ganz klar sagen: Diese Nachautomatisierung hat sich sehr positiv auf den Standort ausgewirkt und unsere Wettbewerbsfähigkeit langfristig gesichert.“
„Der Mut von Infineon, mit uns vollkommen neue Wege bei der Automatisierung in Reinraumumgebungen zu beschreiten, hat der Pionierarbeit, die wir im Bereich der Automatisierung in der 200-mm-Fertigung erbracht haben, enormen Vorschub geleistet“, meint Geschäftsführer Dr. Roland Giesen vom Dresdner Unternehmen Fabmatics GmbH. „Auch dank dieser Weitsicht und der jahrelangen, vertrauensvollen Zusammenarbeit verrichten unsere Roboter- und smarten Lagerlösungen ,made in Saxony’ mittlerweile in Chipfabriken weltweit ihren Dienst.“ Infineon selbst überträgt die Dresdner Lösungen beispielsweise auf das Werk Regensburg.
Die Kooperation begann schon Mitte der 1990er Jahre, als Siemens in Dresden seine erste Chipfabrik baute, die später an Infineon ausgegliedert wurde. Fabmatics-Vorgänger „HAP“ übernahm den Auftrag, einen Lift für Wafer-Kassetten im Reinraum zu konstruieren. „Ab 2004 haben wir dann mit HAP überlegt, wie wir die 200-mm-Linie automatisiert beladen können, ohne jedes Mal Sondermaschinen zu bauen“, erinnert sich Harald Heinrich. Im ersten Schub entwickelten und bauten die Partner bis 2009 knapp 30 Systeme: Die Roboter beluden nun automatisch Anlagen, die früher im Dreischicht-Betrieb insgesamt drei Mitarbeiter pro Tag gebunden hatten. Diese Pionierlösungen zahlten sich sehr schnell aus: Der Personalaufwand sank, das Arbeitstempo und die Maschinenauslastungen stiegen – und langfristig fiel auch die Fehlerquote.
In der zweiten Phase 2010 bis 2016 waren dann komplexere Lösungen gefragt: Die Projektpartner mussten für jeden weiteren Prozentpunkt auf dem Weg zur Vollautomatisierung immer höheren technologischen Aufwand betreiben. In dieser Zeit entwickelten HAP und Ortner mit dem schienengebundenen „HERO Rail“ die erste mobile Roboterlösung für die Halbleiterindustrie und mit „HERO Fab“ und „SCOUT“ die ersten freifahrenden Roboter. Die Dresdner SYSTEMA GmbH passte die Arbeitsabläufe an, Kontron AIS GmbH (Dresden) schuf neue Schnittstellen zu den Chipfertigungsanlagen, von denen viele von Werk aus gar nicht für die Automatisierung vorbereitet waren. Später stieß noch das Dresdner Start-up Wandelbots dazu, mit deren Hilfe einer der mobilen Roboter auf modernste Infineon-Sensorik umgerüstet wurde. Mittlerweile arbeiten in den Dresdner Fabrikmodulen an die 200 Roboter. 115 davon bewegen sich auf Schienen, eine Handvoll bewegt sich frei im Reinraum, der Rest ist fest arretiert.
Durch viel „Feintuning“ haben die 200-mm-Module von Infineon Dresden inzwischen einen Automatisierungsgrad von 93 Prozent erreicht. Damit sind die teilweise schon über 25 Jahre alten Reinräume auf einem Niveau angelangt wie funkelnagelneue 300-mm-Chipfabriken, die mit Hochautomatisierungsgraden um die 97 bis 98 Prozent in Betrieb gehen. Viele in der Branche sehen im Dresdner Modell eine Blaupause auch für andere Mikroelektronikstandorte in Europa, die im Wettbewerb mit den USA, Taiwan oder Südkorea stehen. Denn durch den hohen Robotereinsatz fallen die relativ hohen deutschen Lohnkosten kaum noch ins Gewicht. Hinzu kommt ein Argument, das in einer sozialen Marktwirtschaft besonders zählt: Infineon hat sein Nachautomatisierungs-Projekt ohne Entlassungen realisiert. Ein wesentlicher Teil der freigewordenen Mitarbeiter wurde in andere, expandierende Bereiche versetzt. Insofern hat dieser Kurs unterm Strich langfristig Wertschöpfung und Arbeit in Sachsen gesichert, die sonst womöglich heute in Asien realisiert werden würden.